Bei einem Treffen der ehemaligen hessischen Kadersegler im November 2022 sprach mich mein langjähriger Segelfreund Joachim (Jockel) Oetken auf den Bericht zur Inklusiven Weltmeisterschaft 2022 in Rostock an. „Karlo kannst du dir vorstellen bei so einem Event gemeinsam mit mir zu segeln“ war seine Frage. Ich kannte den Bericht in der Segler-Zeitung und fand es sehr spannend, wie Menschen mit körperlichem Handicap gemeinsam mit Menschen ohne Handicap in einem Boot den Segelsport gemeinsam ausüben können. „Ja mit dir gemeinsam kann ich mir das gut vorstellen“ war meine Antwort. Das war die Grundlage für unsere WM Teilnahme Ende August dieses Jahres.
Laut dem Bericht in der Segler-Zeitung ist ein Schwerbehindertengrad von mindestens 30 von einem der 2 Crewmitglieder erforderlich, um den inklusiven Status zu erreichen und an der inklusiven Weltmeisterschaft im Segeln teilnehmen zu können. Diese Anforderung konnte ich erfüllen, da ich seit einer Tumor-OP hinter dem rechten Ohr im Jahr 2019 auf diesem rechten Ohr nichts mehr höre. Jockel selbst ist seit einem Skiunfall 1988 mit Atlasfraktur und seit 2020 zusätzlich mit einer neurologischen Gesundheitsstörung gehandicapt. Damit hatten wir mit mindestens einer Person das formale Kriterium zur Teilnahme an der inklusiven Weltmeisterschaft vom 23. – 27. August 2023 erreicht und wir beschlossen, in die Planung zur Teilnahme an der inklusiven Weltmeisterschaft einzusteigen.
Bei der inklusiven Weltmeisterschaft wird mit Booten für zwei Personen gesegelt, wobei mindestens eine mit Handicap in der Segelcrew sein muss. Es wurde in zwei verschiedenen Bootsklassen gesegelt. Beide Boote sind speziell für Menschen mit körperlichen Einschränkungen konstruiert.
Da ist zum einen die S/V14- und zum anderen die RS Venture Connect Bootsklasse. Beide Boote sind Kielboote, das heißt, sie haben einen Ballastkiel, der das Kentern verhindern soll.
Im S/V14 Boot sitzen die Segler hintereinander in 2 Schalensitzen. Der Steuermann sitzt achtern (hinten) und hat eine Art Fahrradlenker zum Steuern. Außerdem bedient er die Großschot zum Einstellen des Großsegels und er kann mit einem Taster eine Hydraulik bedienen, um die Schalensitze in der Neigung so zu verstellen, dass diese der Bootsschräglage entgegenwirken. Der Vorschoter sitzt vorne und bedient die Trimmeinrichtungen, das Vorsegel und den Genaker (überdimensionierte Genua).
Im RS Venture Connect Boot sitzen die Segler nebeneinander in 2 Schalensitzen. Das Boot wird mit einer Art Joy Stick (Steuerknüppel) gesteuert. In der Mitte des Bootes befindet sich eine zentrale Bediensäule. Von dieser werden das Großsegel, Vorsegel und die Trimmeinrichtungen des Großsegels bedient. Das Genakerfall und der -niederholer sowie die dazugehörigen Schoten sind so geführt, dass der Vorschoter sie aus dem Schalensitz bedienen kann.
Einen Tag vor dem Beginn der Wettfahrten hatte jede Crew die Möglichkeit mit jedem der beiden Bootsklassen 1 1/2 Stunden zu trainieren. Als erstes durften wir mit dem RS Venture Connect Boot trainieren. Für uns war das Bootshandling sehr rustikal und ungewöhnlich, ein feinfühliges Segeln wie mit der 470er-Jolle war nicht möglich. Das Boot war unter den wechselnden Winden nur mit größten Anstrengungen steuerbar. Das machte wenig Spaß und ließ uns vorzeitig in den Hafen zurückkehren. Es stellte sich als Ursache heraus, dass die Leinenzüge für die Steuerung zu lose und falsch eingestellt waren. Insgesamt ist die wenig feinfühlige Steuerung der RS ein konzeptioneller Mangel für den es eine bessere Lösung geben sollte.
Die S/V14, die wir anschließend segeln durften, machte mit dem Fahrradlenker zum Steuern einen ausgereifteren Eindruck. Hiermit war so etwas wie mit Gefühl am Wind zu segeln und gefühlvolles manövrieren leichter möglich. Dafür ist die elektrohydraulische Neigungsverstellung der Sitze am Lenker eine Herausforderung bei wechselnden Winden für den/die Steuermann/frau. Ich als Vorschiffscrew kam mir zeitweise wie in einem Karussell auf dem Jahrmarkt vor, wo es plötzlich hoch oder runter und nicht immer in die vermutet richtige Richtung ging. Das Ganze begleitet von dem elektrohydraulischen Motorgeräusch, links oder rechts und hoch oder runter.
Gesegelt wurde im Rostocker Stadthafen. Das hatte viel Ähnlichkeit mit unseren Binnenrevieren und deren Bedingungen.
Insgesamt haben 27 Teams aus Australien (1), Belgien (1), Großbritannien (2), Tschechien (3), Norwegen (1) und Deutschland (19) teilgenommen.
Und dann waren sie anfassbar, die persönlichen Schicksale der Segelcrews mit Handicap, ganz nah und präsent. Unglaublich eindrucksvoll, wie sie auf dem Boot und an Land mit den Einschränkungen umgehen und das spannende an diesem inklusiven Prozess war, dass es schon nach kurzer Zeit ein völlig normales Miteinander unter den Seglern/innen und Helfern/innen gab. Ohne den richtigen Namen zu nennen und ohne vollständige Aufzählung der Handicaps einige Beispiele mit welchen tollen Menschen wir einige Zeit zusammen verbringen durften. Schicksale die uns besonders berührten und die uns größten Respekt abfordern. Da war z. B. unser neuer Segelfreund, der als Vierjähriger gegen einen fahrenden Fiat 500 gelaufen ist und seitdem querschnittgelähmt ist, oder unsere neue Segelfreundin, bei der rechtsseitig die Gliedmaßen durch einen Schlaganfall hochgradig gelähmt sind oder unser Segelfreund der seit 17 Jahren Multiple Sklerose hat und zu Beginn seiner Krankheit noch als Schweißer auf einer Ölplattform arbeitete. Oder unser neuer Segelfreund, dem die Arme fehlen und dem Händchen ohne Finger an einer Schulter und mit nur noch 2 Fingern an der anderen Schulter verblieben sind. Und die zahlreichen Menschen, die ohne Beine zurechtkommen müssen. Aber auch andere Schicksale, die nicht weniger bedeutungsvoll und herausfordernd für den/die Betroffenen/e ist/sind, fordern unser Verständnis, unsere Aufmerksamkeit und unseren Respekt. Es ist ein Geschenk mit diesen Menschen in einer solchen Veranstaltung gemeinsame Zeit zu verbringen. Und alle vereint die Freude am Segelsport und am fairen Wettsegeln.
Da je Bootsklasse nur neun Boote zur Verfügung standen wurden in Gruppen zu je sechs Booten die Wettfahrten gesegelt. So sollten nach Möglichkeit alle Teams einmal gegeneinander gesegelt sein.
Nach maximal zwei Wettfahrten wurde zum Tausch der Boote zum Steg gesegelt. Es war ein ausgeklügeltes System, so dass am Steg ausreichend Zeit war, damit auch Personen mit körperlichen Einschränkungen mit einem Lift in die Boote gehoben werden konnten.
Als Wettfahrtdauer war eine Zeit von 15 bis 20 Minuten veranschlagt, so dass an jedem Wettfahrttag 18 Wettfahrten gesegelt werden konnten.
Von Donnerstag bis Samstag wurden jede Menge Gruppenrennen mit je 6 Booten gesegelt. Die danach 8 punktbesten Mannschaften mit den wenigsten Punkten segelten in den Finalrennen am Sonntag die ersten Plätze aus.
Gewonnen haben erneut die Siegerinnen vom letzten Jahr Silke Basedow und Nadine Löschke.
Den Veranstaltern, den ganzen Helfer/innen, allen Menschen die diese Veranstaltung möglich machten und den Sponsoren sei gedankt. Ohne euch wäre das nicht möglich. Sven und das Team drum herum haben wieder unglaubliches geleistet.
Politik und Medien waren da und haben berichtet. Das Inklusive Segeln hat viel Aufmerksamkeit gehabt. Die Stadt Rostock und das Revier waren einer WM würdig und das Wetter war uns gnädig. Es waren einfach 5 schöne gemeinsame Tage.
Und natürlich sind wir auch mitgesegelt und haben uns trotz einiger widriger Umstände den 12. Platz erkämpft, in Sichtweite zu den Ersten. Gewonnen haben wir alle die vor Ort mitgemacht haben.
Mein Fazit:
Ich war sehr davon beeindruckt, wie Menschen mit z. T. großen körperlichen Einschränkungen ihr Leben meistern und großartige sportliche Leistungen vollbringen.
Karlo Schmiedel